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20.März 2013

Die heutige Stadtratssitzung behandelte das Thema Fahrpreisanpassung (zum August) ausführlich, vor allem, weil eine Fraktion beantragte, per Moratorium die Erhöhungen auszusetzen. Vor allem mit der Begründung, dass alternative Finanzierungen fehlen, wurde der Antrag mehrheitlich abgeleht. Bei Lichte betrachtet haben da alle ihre "Lücken" im System...

 

Ein Tarifmoratorium? oder: Ausbruch aus gewohnten Kreisläufen 

 Öffentliche Verkehrsmittel kosten in ihrer Benutzung Geld. Jedes Jahr etwas mehr. Als eine unvermeidbare Erhöhung wird das begründet, mit immergleichem Aufschrei hingenommen. Auch diesmal? Im Folgenden soll analysiert werden, welche Mechanismen ineinander greifen. Betroffen ist der Nahverkehr in Mitteldeutschland, den Städten Leipzig und Halle/Saale, sowie den Landkreisen rundherum und dazwischen.

Jedes Jahr steigen die Kosten, um den grundgesetzlich verankerten Nahverkehr anbieten zu können. Die Fahrpreise steigen mit. Viele andere Lebenshaltungskosten auch. Nur die Einkommen lösen sich von dem Trend. Fahrgäste sind in erster Linie die Einwohner der Region. Logisch, deren tägliche Wege finden auch im ÖPNV statt. Hinzu kommen die Fernreisenden. Sie treffen aus anderen Teilen des Landes, gar aus anderen Ländern ein, der Tourismus boomt. Auch diese Gäste sind vor Ort mobil, bevorzugt mit den Öffentlichen, sofern nicht mit dem eigenen PKW angereist wird.

  

Kostengerechtigkeit 

Wer bestellt, bezahlt! Dieser uralte Leitsatz steht für das Verursacherprinzip und findet in unterschiedlicher Ausprägung seine Anwendung beim Öffentlichen Nahverkehr. Die Diskussion und die damit verbundene Wahrnehmung bei Politik und Gesellschaft suggeriert etwas anderes. Begriffe wie Subvention, Zuschüsse oder Verluste prägen das Bild.  

Öffentlicher Nahverkehr benötigt Zuschüsse, also Finanzmittel in unterschiedlicher Form, um tagtäglich ein dichtes Netz an Mobilität zu gewährleisten. Die Fahrgelder selbst nehmen dabei einen unterschiedlich großen Anteil ein. Vor 25 Jahren betrug dieser im Stadtgebiet Leipzig runde 16%, Seit dem ist er auf 75% angestiegen. Das gelang durch drei Maßnahmen:

-        Rationalisierung, das heißt Bus und Straßenbahn fahren lassen wird effizienter organisiert

-        Angebotskürzungen, im direkten Vergleich wird weniger Leistung geboten, im Umland-Busverkehr findet am Wochenende praktisch keiner statt

-        Fahrpreissteigerung größer als der allgemeine Anstieg an Material-, Energie- und Personalkosten

Bereits ohne die Details aufzuführen wird deutlich, dass dieser Prozess nicht beliebig lange andaueren kann. Das Angebot kann und darf keineswegs gekürzt werden, damit wird das politisch gewollte Ziel, einen Marktanteil von 25% der Öffentlichen zu erreichen, unmöglich gemacht. Die Fahrpreissteigerungen können keineswegs die nötigen Resourcen in zweistelliger Millionenhöhe darstellen. Damit bleibt der Handlungsschwerpunkt auf Rationalisierung und Effizienzsteigerung gerichtet.

 

Warum die Fahrgelder nach 20 Jahren überproportionalem Anstieg keine Endlosschraube sind, an der beliebig gedreht werden kann, wird an folgender Betrachtung deutlich: Die Leipziger Fahrgäste kommen bereits vollständig für die Kosten des Straßen-ÖVs auf, denn neben dem Fahrgeldanteil wird auch das andere Viertel von den Fahrgästen selbst finanziert. Und zwar indirekt. Über die Kosten für die Wasser- und Energieversorgung. Die Stadtwerke und Wasserwerke sind über den Querverbund der LVV die Finanziers des restlichen Anteils. Die Stadt selbst steuert aus ihrem Haushalt kein Geld bei. Selbst der kleine Bundesanteil für Ausgleichszahlungen z.B. schwerbehinderter Fahrgäste wird durch deren Steuern gespeist. Welchen Sinn machen weitere Steigerungen der Fahrpreise? Sie führen letztlich nur dazu, dass sich die öffentliche Hand und der von ihr steuerbare LVV noch mehr aus der Verantwortung zurückziehen kann.

 

In Halle/Saale, der zweiten großen Stadt im MDV-Gebiet, liegen ähnliche Strukturen vor. Auch hier wurde der Kostendeckungsgrad durch Fahrgeldeinnahmen von 47% im Jahre 1994 auf 66,7% im Jahre 2010 gesteigert. Im Gegensatz zu Leipzig unter Inkaufnahme eines erheblichen Fahrgastrückgangs. Auch der Komplementäranteil zur Kostendeckung wurde nicht vollständig ausgezahlt. Im Jahre 2006 fehlten beispielsweise 600.000 Euro.

 

Die rund 500 Überlandbuslinien im MDV, fast alle dienen nur dem Schülerverkehr, weisen noch niedrigere Kostendeckungen auf. Selbst die in Sachsen-Anhalt etablierten „Landeslinien“ (verkehren getaktet, auch am Wochenende) bringen selten mehr als 40% ihrer Kosten durch Fahrgäste ein. Entsprechend gestaltet sich in der Summe das Angebot: Investitionsstau der Fahrzeuge, stetig weiter ausgedünnte Schulstrukturen, darauf folgend noch verworrenere Linienwege, um dem Versorgungsgrundsatz Rechnung zu tragen. Außer für Schüler ist nahezu das gesamte Busangebot unbenutzbar. Selbst wichtige Freizeitpunkte sind nicht erreichbar, schon gar nicht am Wochenende.

 

Damit wird ein Dilemma deutlich: Seitens der Fahrgäste ist die sozial verträgliche Stufe der Kostenbeteiligung erreicht. Die Betreiber selbst sehen sich auch in großer Not, selbst banale Instandsetzungen an Netz und Material müssen aus Kostengründen unterbleiben. Innerhalb der letzten 10 Jahre sind über 100.000.000 Euro aufgelaufen, die im mitteldeutschen Nahverkehrssystem fehlen.

 

Die einzigen Gewinner sind die Kommunen und Landkreise. Dank des durchaus sinnvollen Querverbundes aus den Stadt-/Wasserwerkegewinnen zogen sich die Großstädte vollständig aus der Finanzierung zurück. Die Landkreise können Fahrgelder und Bundesmittel für Ausgleichszahlungen (v.a. Schülerbeförderung) dank der oft kreiseigenen Busbetriebe „kassieren“. Vom Fiasko der sächsichen Eisenbahnen gar nicht begonnen, wo die ausgereichten Bundesmittel zum Eisenbahnbetrieb sang und klanglos in den Landeshaushalt umgeleitet werden. Der Nahverkehr wird zum gigantischen Verschiebebahnhof für Transferleistungen und immer weniger ein Instrument der Standortqualität.

 

Es sind jedoch nur scheinbare Gewinner! Denn diese Haltung ist ein Strohfeuer und sichert keinen anhaltenden Erfolg. Der europaweite Wettbewerb der Regionen um Mensch und Kapital findet auch über die Qualitätsstufe der Mobilität statt. Mitteldeutschland droht darin Verlierer zu bleiben. Zukunft wird anders gesichert. Nur wie?

 

Mittelbedarf steigt

 Dem Gerechtigkeitsempfinden wäre Genüge getan, wenn das einseitige Abwälzen anwachsender Kosten auf die Fahrgäste selbst gestoppt wird. Logisch erscheint auch, die Rückstände bei den Verkehrsunternehmen zu beseitigen. Dass die Öffentliche Hand sich deutlich stärker finanziell beteiligt muss der zwingende Rückschluss sein.

 

Im Segment der Nahverkehrszüge (SPNV) wird diese Forderung Wunschtraum bleiben. Die beteiligten Länder haben ihre Haushalte bereits verabschiedet, der Freistaat Sachsen sogar für zwei Jahre. Dort verbunden mit bitteren Kürzungen der vom Bund ausgereichten Mittel. Nominell finden zwar Angebotsausweitungen statt (weil in diesem Jahr das Netz durch Inbetriebnahme des City Tunnels Leipzig neu strukturiert wird), selbst diese werden nicht vereinbarungsgemäß zur Gänze finanziert.

 

In Leipzig selbst wird der Komplementärbetrag zu den Fahrgeldeinnahmen, beglichen durch die LVV, auf eine Summe von 45 Mio. Euro reduziert. Viel zu wenig, um den ÖPNV einer prosperierenden und wachsenden Großstadt zu bewältigen.

 

In Halle/Saale, einer immer noch schrumpfenden Stadt, und dem Netz der HAVAG wird in Kategorien der Kürzungen gedacht. Schrumpfung heißt nicht automatisch weniger Bedarf. Allein die überregional bedeutsame Martin-Luther-Universität sorgt für chronische Überlastungen. Von einer leistungsgerechten impulsgebenden Finanzierung ist nicht die Rede.

 

Gleichsam wird von der gleichen finanzmittelkürzenden Politik die Erhöhung des modal split, also dem Verkehrsmarktanteil des Öffentlichen Verkehrs als Ziel gesprochen. Als Zielgröße gelten nach wie vor die 25%, verglichen mit den heutigen 18% (in den Städten!) wirkt der Wert täuschend harmlos. In absoluten Zahlen bedeuten 25% jedoch riesiges Wachstum. Die Basis, also die Anzahl der täglichen Wege insgesamt, wächst mit. Re-Urbanisierung, Wirtschaftswachstum, Tourismus – all das führt mit der Zielvorgabe von 25% modal split zu einer jährlichen Fahrgastmenge von 300.000.000 (gegenwärtig knapp 200.000.000).

 

Öffentliche Hand muss mehr Geld bereitstellen

 Diese Größenordnungen allein, sie bewegen sich vergleichsweise im europäischen Mittelmaß, sorgen für erheblichen Bedarf an Geldmitteln. Für Angebotsverbesserungen, Netzausbau, Fahrzeuge und Telematik. Sollen das die Fahrgäste vorab bezahlen? Mit jährlichen Steigerungen, die immer bizarrere Sprünge machen? Nein. Ebensowenig kann und darf das auf dem Rücken der Belegschaft der Verkehrsunternehmen erfolgen. Der soziale Anspruch der Verträglichkeit gilt für Fahrgäste wie Personal gleichermaßen. Sollen heutiger Qualitätsanspruch und künftige politisch gesetzte Zielstellungen für den ÖPNV erhalten bleiben und erreicht werden, muss seitens der Kommunen und Landkreise mehr Geld in das System investiert werden. Geld, also finanzielle Mittel wie indirekte Leistungen durch fahrbetriebliche Verbesserungen gleichermaßen. Denn die Forderung nach mehr Beteiligung stößt auf bettelarme Kämmerer und leere Kassen. Sind diese so leer?

 

Geld ist da

 Scheinbar nicht. Der Landkreis Nordsachsen hat Geld für den Bau einer völlig bedarfsfreien Verbindungsstraße (Hayna – Podelwitz) übrig, Projekte wie die B87n, die mit geplanten 320.000.000 Euro (also rund 0,5 Milliarden) die dort verkehrenden 6.000 Autos täglich ins entvölkerte Nichts führt zeigen knallhart, das Geld allein keine Mangelware ist. Eher die Prioritätensetzung.

 

Es gibt auch Lösungen ohne großes finanzielles Füllhorn. Nicht-investive Verbesserungen, wie Ampelsteuerungen für behinderungsfreien ÖV, helfen vom ersten Moment an die Betriebskosten zu senken. Das nimmt Ausmaße von rund 12.000.000 Euro jährlich an 1*) , die allein in Leipzig und Halle durch eine echte Grüne Welle für den ÖV eingespart werden können. Die gern zitierte Politik-Phrase der „Integration aller Verkehrsmittel“ reicht eben nicht. Denn die bedeutet übersetzt ein Weiter-so-wie-bisher mit der inbegriffenen Furcht, sich gegenüber der MIV-Lobby erklären zu müssen.

 

Konsequent die tägliche wettbewerbsfähige Erreichbarkeit mit dem ÖPNV sicher zu stellen muss einer der Leitgedanken für Investionen der Industrie, im Freizeit- und Einkaufssektor und selbstverständlich auch im Wohnungsbau werden. Viel stärker als heute!

 

Das bedeutet insgesamt eine andere Wahrnehmung dem ÖPNV gegenüber zu bekommen. Damit tun sich Kommunen und andere Aufgabenträger nicht nur schwer, zu oft stellen sie sich auch unbeholfen an. Politik ist ein Laienspiel geworden.

 

Denkbare Auswege

 Nachdem aufgezeigt wurde, dass und warum Fahrgelder nicht weiter steigen können, Aufgabenträger zahlen müssten, es nominell nicht können und wollen, stehen die wichtigsten Informationen aus: Wie soll das finanziert werden?

 

Umdenken – Umsteuern – Umlernen

 Diese drei Schlagworte beschreiben die Handlungsabfolge. Eine umfassende Qualitätssicherung und Bemessung der Erfolge ist notwendig.

 

Umdenken

Als erstes muss verbundweit der Abwärtstrend sowohl der Wahrnehmung nach als auch im faktischen gestoppt und umgedreht werden. Die progessive Entwicklung kann durch die weit reichende Auswirkung des neuen S-Bahn Netzes erzeugt werden (2013), auf anhalter Seite durch deren E-Netz Süd und Nord (2015). Eisenbahnen sind die Ankerpunkte der Qualitätswahrnehmung. Eine Trendumkehr hin zu einem gewollten ÖPN-Netz erzwingt die mentale Ausgestaltung in alle Gesellschaftsbereiche. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, muss überhaupt erst mal daran gedacht werden, potenzielle Ziele per ÖPNV erreichbar zu machen. Neuseenland zeigt exemplarisch, wie Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, die Parkplatzdebatte am Cospudener See demonstriert das gewaltige Potenzial, welches für Bus und Bahn bracht liegt.

 

Umsteuern

Dieses gesamtgesellschaftliche Umdenken muss in ein Umsteuern münden. Erlaubt soll als Markstein sein, das gegenwärtige Tarifniveau in etwa zu belassen und (betriebsvereinfachend) zu runden:

-        Einzelkarten mit „glatten“ Beträgen, 1 Euro Kind / 2 Euro Erwachsene

-        Kurzstrecke dafür generell abschaffen

-        Zoneeinteilung tendenziell vergrößern als verkleinern, dafür passende Tarifsprünge

-        Vereinheitlichung aller Zonen

-        Keine lokalen Haustarife, insbesondere touristische, sondern Gültigkeit auf alle Verkehrsmittel ausweiten (Ausnahme bundesweite BahnCard-Regelungen im Eisenbahnsegment)

 

Weiterhin muss die Komplementärfinanzierung stabilisiert und erhöht werden. Um das für die Versorger wettbewerbsfähig zu gestalten, sollte ein Anteil konkret für Maßnahmen der Angebotsausweitung bestimmt und nachverfolgt werden. Nur über Anreizsysteme entsteht die erforderliche Dynamik aus Innovationen.

 

Kommunen/ Landkreise müssen von der bloßen Bedarfsbefriedigung auf Schülerverkehrsniveau die Differenz zum atraktiven Verkehrsangebot, welches gegenüber dem MIV mithalten kann, erkennen. Dann sind auch konkrete Schritte beschreibbar, wie diese Lücke geschlossen werden kann. Vermiedene Kosten durch mehr ÖPNV-Nutzung, also der volkswirtschaftliche Benefit sind in ihrer Größenordnung meistens nicht bekannt. Ebensowenig die Bedeutung eines leistungsfähigen ÖPNVs für die Wirtschaft.

 

Umlernen

Alle Akteure, insbesondere auch die Verkehrsunternehmen, haben unter Annahme nicht mehr ansteigernder Tarife die Verpflichtung, durch Fahrgaststeigerung die Tarifeinnahmen den Kosten entsprechend zu steigern. Der Lerneffekt stellt sich durch die Wandlung von einem gegenwärtigen betriebsgerechten System hin zu einem fahrgastorientieren Angebot dar. Verständliche Kommunikation, verfügbare und nachvollziehbare Tarifstruktur, Sitz- und Fahrkomfort der sich am MIV und nicht an Werkbänken orientiert, Netz- und Anschlussinformationen, die eine Benutzbarkeit für alle Lebensbereiche gewährleistet – alles das muss neu sein für die meisten Verkehrsunternehmen. Sonst stellt sich zwingend die Frage, warum es nicht längst umgesetzt ist. Und die Aufgabenträger und Verwaltungen sind von diesem Prozess nicht ausgenommen!

 

Ausblick

 300 Millionen Fahrgäste jährlich bedeuten im heutigen Tarifniveau auch durchschnittlich 300 Millionen Euro Fahrgeldeinnahmen. 165 Millionen Euro sind es derzeit. Leicht zu erkennen, dass der Lohn für die Anstrengungen sprichwörtlich auf der Straße liegt. Nur Bücken will gelernt sein. Denn es gilt, die Mehraufwendungen für die Steigerung in Grenzen zu halten. Andere Regionen machen es vor, wie mit stetig wachsenden Netzen und Strukturen für nachhaltig hohe Fahrgastzahlen gesorgt wird. Als Denkanstöße sollen für Mitteldeutschland gelten:

-        Weiterer Ausbau des neuen S-Bahn Netzes, Anbindung Cospudener See, Weiterführung S3 bis Borsdorf, schnelle Realisierung weiterer geplanter Haltepunkte

-        Viel konsequentere Ausrichtung von Tram/Bus als Zubringer, in Markkleeberg kann das die Tram 9 in geänderter Streckenführung übernehmen

-        Anbindung großer Arbeitsstätten so verbessern, dass der Berufsverkehr mindestens 30% modal split ermöglicht, BMW hat derzeit ca. 2%

-        Umlandbusverkehr in Schülerverkehr und für die Allgemeinheit benutzbaren Verkehr trennen und separat entwickeln. Letzteren zwingend als Anstoßverkehr auf das Eisenbahnnetz ausrichten

-        Sonderabgabe für publikumsintensive Einrichtungen bemessen, der je nach Erreichbarkeitsqualität per ÖPNV gestaffelt ist. Damit wird das Interesse an besserem ÖPNV „belohnt“, Suburbanisierungsvorhaben erfahren darüber eine gewisse Lenkung

-        Flächendeckend die fahrplanabhängige Ampelschaltung einführen, damit wird fahrplanstabil gefahren und Anschlüsse sicherer

-        Fahrkomfort flächendeckend steigern, dazu gehört angenehmes Sitzen, keine beklebten Scheiben, keine Außen-/ Innenwerbung für MIV (= Konkurrenz), sondern stärkung der Markenwirkung der jeweiligen Unternehmen

-        Integration weiterer Verkehrsträger des Umweltverbundes

 

Als Fazit bleibt, dass bei konsequentem Handeln im Sinne der ÖPNV-Förderung und dem überlegt ausgewogenem Stopp weiterer Tariferhöhungen sehr wohl die politischen Ziele finanziert und erreicht werden können.

 

 1*) Überschlagsrechnung, gleichzeitig fahren 200 Bahnen und 200 Busse in Leipzig und Halle. Bei vollständiger Vermeidung von Störhalten (gemittelt einer je fünf Minuten) und damit verbunden vermiedenen 0,5 Euro Verschleiß, entstehen rund 12.000.000 Euro Ersparnis. Atraktivitätsgewinne noch nicht eingerechnet

 

 


 26.Februar 2013

 

Aus aktuellem Anlass ein Manifest ans Weiterdenken: 

   

Auf dem Holzweg – neue Sitztypen für die Leipziger Straßenbahnen

 

Wie spannend kann das Thema Sitze in Straßenbahnen denn sein, garstig formuliert ist es eh nur für den Allerwertesten. Weit gefehlt! Die wenigen Minuten Fahrzeit reichen aus, um bei allen Fahrgästen ein Thema daraus zu machen.

 

Historisch bedingt gabe es alles Denkbare. Detailliert lässt sich im Straßenbahnmuseum nachvollziehen, wie Holzbänke, glatt lackiert, weiche Plüschsitze der ehemaligen Außenbahntriebwagen oder schnöde grüne Kunstledersitze aus den 60ern aussahen. Und wer kennt sie nicht, die roten und grauen Schalensitze der Tatra-Bahnen. Jedes Kind wollte sich nur auf den roten hinsetzen. Das hat Generationen geprägt. Zeigt nebenbei, dass selbst die Farbe des Gestühls von Bedeutung ist. Wer Geschwister hat, wird die erbitterten Kämpfe um die richtige Farbe nicht vergessen haben.

 

Ab 1992 wurden in den modernisierten Tatras teilgepolsterte Sitze verbaut. Nicht weicher, dafür rutschfester während der permanent schaukelnden Fahrt. Mit den neuen NGT8-Bahnen tauchen richtige gepolsterte Sitze auf, angenehm zu sitzen und als skriptogramm tausendfach mit den Initialen LVB bedruckt. Diese blichen aus, litten unter zig-tausendfacher Nutzung und wechselten inzwischen in ein nüchternes Dunkelblau.

 

Mit dem Auftauchen der langen NGT12 (XXL-Bahnen) wurden etwas dicker und damit weicher gepolsterte Sitze, ebenfalls gleichmäßig blau eingebaut. Einhellig das Beste für die Leipziger Gleise.

 

Hingegen wurde die Billigkonstruktion des Anhängers NB4 und der Eigenbautriebwagen Leoliner mit stoffbezogenen Hartschalen im Stahlrohr bestuhlt. Das ermöglicht zwar das Vermeiden von Hin- und Herrutschen während der Fahrt, die schmale Sitzfläche und das sich kalt anfühlende Stahlrohr sind alles andere als komfortabel.

 

Vandalismus ist in den Innenräumen kein wirkliches Problem. Die Fahrzeuge sind bis auf wenige Ausnahmen videoüberwacht. Seit dieser Nachrüstung ging das Zerkratzen der Fensterscheiben fast gegen Null. (Dafür wird von außen gern Werbung auch über ca. 30% der Fensterfläche geklebt). Seit 2012 nimmt das Zerkratzen wieder zu. Weiterhin werden die aus Hartgummi bestehenden Haltegriffe der Rückenlehnen zerkleinert. Von den üblichen Verschmutzungen abgesehen sind die Fahrzeuge intakt.

 

Über das Thema Verschmutzung und vor allem deren ausbleibende Beseitigung reifte bei den Verkehrsbetrieben die Idee, Sitzelemente ohne Stoffbezug zu verwenden, denn diese lassen sich wischend schnell reinigen. So die wichtigste Begründung: (Zitat LVB) „…Hinweise von Fahrgästen und eigene Beobachtungen zu den Eigenschaften und dem teilweise unansehnlichen Zustand der derzeit in den Straßenbahnwagen eingebauten Fahrgastsitze haben bei den Verantwortlichen zu der Überlegung geführt, neue Fahrgastsitze ohne textile Bezüge zu testen. In einer intensiven Vorauswahl wurden vier verschiedene Sitzmodelle, je zwei aus Kunststoff und Holz, für den Test gefunden. …“

 

Meine eigenen Beobachtungen finden das Gros der Sitze in einem Zustand vor, der nicht vom Hinsetzen abhält. Klar, bei mehreren Hundert Fahrzeugen und somit tausenden Sitzen und täglich 20 Stunden Betriebseinsatz kommen auch herbe Verschmutzungen vor. An die letzte kann ich mich nicht mal erinnern, so selten ist das. Die Sauberkeitsprobleme betreffen vor allem die Nase und neben dem Fußboden vor allem die Außenfläche oder technische Einbauten (Gelenke). Der Anlass für die Sitze wirkt da arg konstruiert begründet.

 

Die erwähnten Kunststoff- und Holzsitze wurden kurzerhand in eine vorhandene Straßenbahn eingebaut, farblich deutlich markiert und seit mehreren Monaten rollte diese „Bimmel“ nach und nach auf allen Linien durch die Stadt und sammelt gezielt Meinungen im täglichen Gebrauch ein. Keine schlechte Idee, die Fahrgäste haben das Gefühl, mitzuentscheiden.

 

Haben sie das wirklich? Das Ziel der LVB, definitiv weg vom Stoffbezug zu kommen, wird an allen stellen deutlich. Die vorgestellten Sitze, und das ist mein ureigener persönlicher Geschmack, treffen mit allen vier Versionen nicht ein Design, welches ich zukünftig für erträglich halte. Selbst neutral bewertet sind die Farben und Formen entweder schreiend hässlich (Sitz A), verkrampft (B), unpraktisch mit kaltem Stahlrohr (C) oder lieb-leb-gesichtslos wie Typ D und damit reicht kein Entwurf an den Sitzkomfort oder die Einbindung ins Gesamtdesign beim XXL heran (um das Premiumfahrzeug zu nehmen). Ist auch logisch, denn dies wurde von echten Designern des Herstellers entwickelt. Optisch werden andere Sitze als die heutigen in jedem Fall eine Katastrophe sein.

 

Der Sitzkomfort ist ein Thema für sich. Leichtfertig betrachtet wäre auf kurzen Strecken eine harte Schale kein Weltuntergang. Das Leipziger Netz bietet jedoch, zentral ausgerichtet, Linien an, die in häufigen Fällen 30 und mehr Minuten Fahrzeit bedeuten. Das entspricht am Tage genau der Nutzungsdauer von PKWs. Baut da irgendein Hersteller Hartschalen ein? Wäre ja preiswert, leicht zu reinigen? Warum wohl nicht? Weil selbst wenige Minuten Hinsetzen mit einer Erwartungshaltung verbunden sind, die eben nicht das Niveau eines Brettes hat.

 

Die Sauberkeit, wichtigster Grund für das Ganze, erweist sich als folgenschwerer Trugschluss! Andere Städte, die seit vielen Jahren u.a. Holzsitze einsetzen (U-Bahn München), plagen sich stattdessen mit Kratz- und Schnitzvandalismus. Dieser sieht nicht nur unschön aus, er stellt auch eine Verletzungsgefahr und erst recht ein Beschädigungsrisiko für Bekleidung dar. Nur das Weglassen vom Stoffbezug macht aus den Sachbeschädigern keine Heilige. Und dann? Putzen bringt nichts, spachteln hält nicht, schleifen macht tückisch blass. So bleibt nur der Komplettaustausch oder das jahrelange Verbleiben von unbrauchbaren Sitzen, angesplittert, eingebrochen, bis zur Hauptuntersuchung aller 8 Jahre sich jemand erbarmt, kaputt gegen ganz zu tauschen. Bis zur nächsten Messerattacke.

 

Die Reinigung mag den Staub schnell entfernen. Doch alles was klebrig ist, Kaugummi und sinnlos aufgepappte Aufkleber, sind fiese hartnäckige Wegwischverweigerer. Auf Stoffbezug hält kein Aufkleber, Kaugummi ist definitiv kein Massenproblem, nur die Hartschalen werden da ganz neue teure Betätigungsfelder für zu einfach gestricke Unholde bieten. Mithin keine Verbesserung der Sauberkeit, sondern eine Verschlechterung.

 

Ist das nun so schlimm, wenn die Sitze dreckig sind? Das Sitzproblem selbst ist es nicht. Gejammert werden wegen kurzem freiwilligen Zwangsstehen soll keine Hürde sein. Nein, diese stellt sich an ganz anderer Stelle den LVB in den Weg und wird weitaus schmerzhafter sein, was die finanziellen Folgen angeht. Menschen sind und reagieren sensibel. Oftmals unbewusst werden Qualitäten wahrgenommen, Kinder, die sich früher um die roten Sitze rauften, sind die aufblitzenden Offenbarungen dieser Gefühlswelt. Und diese Welt entscheidet knallhart im Wettbewerb über Nutzen und Nichtnutzen, Bleiben oder Abwandern, Einnahmen oder Verluste. Der medial allgegenwärtige PKW ist hiermit nicht gemeint, sondern das neue S-Bahnnetz. Dessen Linien berühren zwar nur wenige (wichtige) Punkte im Stadtgebiet, die Präsenz und Aufmerksamkeit ab Dezember 2013 wird aus meiner Sicht selbst die narzistisch veranlagte LVB eiskalt erwischen. Und dann stehen angeschnitzte aufkleberverzierte Hartschalen, miefiger Geruch, werbebeklebte oder zerkratzte Scheiben, polterndes, klapperndes und dröhnendes Fahrgeräusch nebst einer illustren Flotte aus Alt- und Neufahrzeugen ohne stringente Farbgebung gegen 100% nagelneue Fahrzeuge, einheitlich mit dem Alles-Neu-Bonus behaftet, die absolut leise fahren, ohne Schienenstöße alle 12 oder 15 Meter, und ganz anders als bisher eine biedere Deutsche Bahn nicht mehr ignoriert werden können. Dann krankt die LVB als Marke im Ganzen. Und diese Krankheit ist pure Selbstverstümmelung.

 

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